Wie man (k)eine Welle bricht

Elo ass ganz oft gesot ginn, déi Mesuren hunn net gegraff. Dat stëmmt net, déi Mesuren hunn gegraff an dat gesi mer och, wann een d’Zäitschinn kuckt. Éischtens ass déi exponentiell Entwécklung gebrach ginn an dat ass ganz wichteg. Wéi eng Mesuren dat elo genau war, déi dat ausgeléist huet, dat kann een net soen. Dat kann ech net soen an och kee Wëssenschaftler kann dat soen.

Paulette Lenert [1]

Parallel dazu sind wir dabei, allgemein aus diesem „Emergency“-Beitrag, den wir für die Regierung gemacht haben, ein bisschen Abstand zu nehmen und uns vermehrt auf akademische Publikationen zu konzentrieren.

Taskforce-Mitglied Dr. Alexander Skupin [2]

Die “Updates for second wave” von Research Luxembourg

Wenn man bedenkt mit welchem Aufwand das “Deconfinement” und das nachfolgendende Large Scale Testing von der Taskforce begleitet wurden, kann dieser Schritt sicher als eine Wende angesehen werden. Inmitten einer Pandemie erscheint es zumindest befremdlich, wenn die Wissenschaft ihren eigenen, die Politik beratenden „Beitrag“ als nicht mehr notwendig einstuft.

Sehen wir uns die wöchentlichen Berichte von Research Luxembourg [3] der Monate September bis Dezember 2020 einmal an.

Wir finden jeweils eine Grafik der effektiven Reproduktionszahl, der absoluten sowie prozentualen Zahl der positiven PCR-Tests, der aktiven Infektionen sowie der wöchentlichen Fallzahlen pro 100.000 Einwohner. Diese Informationen sind bis auf letztere Grafik keine exklusiven Informationen und beispielsweise auch auf der offiziellen Covid-19 Webseite [4] verfügbar.

Eine aktuelle Tendenz (lineares, exponentielles Wachstum) soll auf einer Grafik mit der kumulierten Zahl an positiven PCR-Tests ausgemacht werden. Ohne das Thema zu vertiefen, soll darauf hingewiesen werden, dass es problematisch ist, absolute Zahlen zu kumulieren, welche unter unterschiedlichen Bedingungen (Gesamtzahl der Tests) erhoben wurden [5]. Hier wird der Begriff „Modell“ benutzt, es handelt sich jedoch faktisch um eine Regression, welche die aktuellen Testzahlen in einen numerischen Zusammenhang zu setzen versucht. Ein zugrunde liegendes Prinzip wird auf diese Weise nicht abstrahiert und eine Vorhersage ist somit auch nicht möglich.

Dieser Aufgabe kommt eine mittelfristige Prognose („midterm projection“) nach. Anhand eines SIR-Modells [6] wird versucht, den zukünftigen Verlauf der Zahl positiver PCR-Tests zu ermitteln. Wir haben in der Tabelle die Vorhersage und die tatsächlichen Zahlen gegenübergestellt. In den Monaten September bis November war es Research Luxembourg offenbar nicht möglich die Entwicklung der Fallzahlen zuverlässig vorherzusagen.

Bericht vomVorhersagefür Zeitintervalltatsächlicher WertDifferenz (%)
11/09/202055“mid october”200-145 (-73%)
18/09/2020220“5 november”700-480 (-69%)
25/09/202085“beginning november”700-615 (-88%)
02/10/2020120“beginning november”700-580 (-83%)
09/10/2020170“mid november”700-530 (-76%)
16/10/2020370“beginning december”700-330 (-47%)
23/10/20201400“mid november”650750 (115%)
30/10/20201300“beginning november”700600 (86%)
05/11/2020950“mid november”650300 (46%)
12/11/2020780“next days”650130 (20%)
19/11/2020720“next days”600120 (20%)
26/11/2020300“christmas”3000 (0%)
Vorhersagen in den wöchentlichen Berichten von Research Luxembourg

Die zweite Welle und die Maßnahmen

Um den Einfluss der Schwankungen der Gesamtzahl der Tests zu eliminieren, betrachten wir in der folgenden Grafik den über 7 Tage gemittelten Wert des prozentualen Anteils an positiven Tests.

Die Startdaten der verschiedenen Maßnahmen sind eingezeichnet. Wir stellen sie noch einmal kurz hier vor:

  • ab 30.10.2020: Ausgangssperre von 23h00 bis 6h00, Besuch von maximal 4 Personen, 4 Personen am Tisch in Restaurants, Maskenpflicht innen und außen bei mehr als 4 Personen, usw.
  • ab 26.11.2020: Schließung des Horesca-Sektors, der Kinos und Fitnesszentren
  • ab 26.12.2020: Ausgangssperre vorgezogen auf 21h00 bis 6h00, Schließung aller nicht „lebensnotwendigen“ Läden, Homeschooling in der Woche vom 4. Januar 2021
  • ab 11.01.2021: Ausgangssperre wieder von 23h00 bis 6h00, Wiedereröffnung der nicht „lebensnotwendigen“ Läden, der Horesca-Sektor bleibt weiterhin geschlossen

Um entscheiden zu können, ob eine Maßnahme einen Einfluss auf die Entwicklung der Fallzahlen hat, wenden wir folgendes Kriterium an: nach frühestens 8 Tagen muss eine Variation in der Tendenz zu beobachten sein. Wir berücksichtigen dabei die Tatsache, dass eine Änderung des Infektionsgeschehens sich frühestens nach diesem Zeitraum in der Statistik bemerkbar machen kann [8].

Die Fallzahlen stiegen bis zum 26. Oktober 2020 an und erreichten ihr Maximum. Dieser Zeitabschnitt entspricht der eingangs zitierten „exponentiellen Entwicklung“. Es ist somit klar, dass keine der später einsetzenden Maßnahmen dieses Wachstum „gebrochen“ hat.

Die Maßnahme vom 30. Oktober 2020 hätte sich nach unserem Kriterium ab dem 6. November 2020 in der Statistik bemerkbar machen müssen. Zu diesem Zeitpunkt kam es allerdings wieder zu einem leichten Anstieg.

Am 1. Dezember 2020 wurde ein Zwischenmaximum erreicht, ab dem die Zahlen wieder fielen. Die Maßnahme vom 26. November 2020 kann somit nicht der initiale Grund gewesen sein, um diese Tendenz einzuleiten.

Analog verhält es sich für die dritte Maßnahme vom 26. Dezember 2020: ein Zwischenmaximum am 28.12.2020 mit anschließendem Zurückgehen, für welches diese Maßnahme wiederum nicht als Ursache zugeordnet werden kann.

Die vierte Maßnahme vom 11. Januar 2021 schließlich, welche ja eine Lockerung der vorhergehenden darstellt, führte zu einem leichten Rückgang nach 8 Tagen.

Wir können schlussfolgern: keiner einzigen der Maßnahmen kann eine nachweisbare Wirkung auf das Infektionsgeschehen zugeordnet werden.

Dass „nonpharmaceutical interventions“ (NPI) generell wenig bis gar keinen Einfluss auf den epidemiologischen Verlauf haben, wird in einem Artikel des American Institute for Economic Research [9] dargelegt, welcher 29 wissenschaftliche Studien auflistet, die zu diesem Schluss kommen.

Vielleicht ist alles anders?

Was könnte denn den Verlauf der zweiten Welle bestimmt haben? Wir versuchen in diesem Teil eine mögliche Antwort zu finden.

Auf der offiziellen Covid-19 Webseite [4] finden wir die Grafik „Tests COVID-19“. Hier sind die kumulierten Zahlen der Tests, der getesteten Personen sowie der positiven Tests dargestellt. Aus diesen Daten kann der prozentuale Anteil der täglich zum ersten Mal Getesteten ermittelt werden.

Grafik 2 zeigt den jeweils prozentualen Anteil der zum ersten Mal getesteten (rot) sowie der positiven PCR-Tests (blau) an der Gesamtzahl der täglichen Tests. Der Anteil der Getesteten an der Gesamtbevölkerung (626.108, Stand 01.01.2021) ist in Grün eingezeichnet. Dieser liegt aktuell bei 90% und wird sich in nächster Zukunft den 100% asymptotisch annähern.

Der Verlauf der roten Kurve beginnt erwartungsgemäß bei 100% (alle Personen werden zum ersten Mal getestet). Ein immer größer werdender Anteil wird im Verlauf der Zeit zum mindestens zweiten Male getestet, der Anteil der zum ersten Mal Getesteten verringert sich entsprechend.

Ab Mitte Oktober 2020 zeigt sich eine ausgeprägte Kovarianz der beiden erstgenannten Größen. Wir betrachten hierzu einen Ausschnitt des Zeitraumes von Oktober 2020 bis Januar 2021.
(Die jeweils über 7 Tage gemittelten Werte sind gestrichelt eingezeichnet.)

Obschon der Anteil der zum ersten Mal getesteten (Gruppe A) gemittelt nie größer als 20% ist, führt jede Veränderung dieser Größe zu einer vergleichbar großen Veränderung des Anteils der positiven Tests. Daraus folgt, dass fast ausschließlich in der Gruppe A die Testpositiven gefunden werden, während in der komplementären Gruppe B der schon vorher mindestens einmal getesteten nur ein sehr geringer Anteil ein positives Testergebnis erhält.

Dazu eine kleine Beispielrechnung (11. Januar 2021), wobei wir davon ausgehen, dass Gruppe A mit einem Anteil von 90% zu den positiven Tests beiträgt:

Gesamtzahl Tests: 10 421
davon:
zum ersten Mal getestet (Gruppe A): 687 (6,59%)
mehr als einmal getestet (Gruppe B): 10 421 – 687 = 9 734 (93,41%)

Positiv getestet: 154 (1,48%)
davon:
zum ersten Mal getestet (Gruppe A): 90% von 154 = 139
mehr als einmal getestet (Gruppe B): 10% von 154 = 15

Anteil positiver Tests (Prävalenz)
bei den zum ersten Mal getesteten (Gruppe A): 100 • 139 / 687 = 20,23%
bei den mehr als einmal getesteten (Gruppe B): 100 • 15 / 9734 = 0,15%

(Würden wir von einem Anteil von 80 % ausgehen wäre der Anteil positiver Tests in Gruppe A immer noch 17,9 % und in Gruppe B 0,32 %.)

Das Infektionsgeschehen würde sich also getrennt in 2 Gruppen abspielen, mit einer in Gruppe A um eine vielfache höhere Reproduktionszahl. Die Prävalenz in Gruppe B, zu der mittlerweile 90% der Bevölkerung gehören, wäre dagegen im Fehlerbereich des Tests angesiedelt und somit quasi vernachlässigbar. Auch wenn die Gründe hierfür noch zu klären wären, könnte dieser Umstand einige Fragen beantworten:

1. Die Kontaktbeschränkung durch die Maßnahmen ist für den allergrößten Teil der Menschen nutzlos, da es ohnehin nicht zu einer Ansteckung kommt. Entsprechend zeigen sie auch keine Wirkung.

2. Die zweite Welle erreichte ihr Maximum mit nur 6% Positivenrate am 26. Oktober 2020. Zum Vergleich: der Peak der Welle im März 2020 kam auf 20%.

3. Der Anteil der positiven Tests muss sich im Laufe der Zeit notwendigerweise verringern, da der Anteil der noch nie getesteten bei fortlaufenden Tests immer kleiner wird. Somit ist ein Zurückgehen der Fallzahlen auch ohne Maßnahmen erklärbar.

Wir haben somit einen Ansatz vorgestellt, welche den Verlauf der zweiten Welle zumindest teilweise erklären könnte.

Fazit

Das Infektionsgeschehen kann mit den von Research Luxembourg angewandten Methoden nicht erklärt, und die Wirkung der Maßnahmen kausal nicht bewiesen werden. Die Politik sieht sich darüber hinaus auch nicht in der Verpflichtung diese Fragen zu beantworten.

Der Verdacht erhärtet sich, dass die Strategie der Corona-Bekämpfung sich nicht mehr nach wissenschaftlichen Kriterien richtet. Mitunter wird auch schon kein Hehl mehr daraus gemacht, dass die Entscheidungen „politisch“ motiviert seien, was auch immer darunter zu verstehen ist.


Quellen:

[1] RTL (15.12.2020 ): Gesondheetsministesch seet, d’Mesuren hu gegraff
https://www.rtl.lu/news/national/a/1630849.html

[2] Tageblatt (18.09.2020): Einschätzung aus der Covid-19-Taskforce:
„Das werden spannende Tage und Wochen“
https://www.tageblatt.lu/?post_type=post&p=840118

[3] Research Luxembourg: Publications
https://researchluxembourg.lu/publications/

[4] Offizielle Covid19-Webseite – Grafiken
https://covid19.public.lu/fr/graph.html

[5] Expressis Verbis: Zahlen und Fakten
https://www.expressis-verbis.lu/2020/11/03/statistices/

[6] Wikipedia: SIR-Model
https://en.wikipedia.org/wiki/Compartmental_models_in_epidemiology#The_SIR_model

[7] WHO Information Notice for IVD Users 2020/05
https://www.who.int/news/item/20-01-2021-who-information-notice-for-ivd-users-2020-05

[8] Research Luxembourg: Real-time Rt estimation
https://github.com/ResearchLuxembourg/covid-19_reproductionNumber/blob/master/src/estimation_R_eff.ipynb

[9] American Institute for Economic Research:
Lockdowns Do Not Control the Coronavirus: The Evidence
https://www.aier.org/article/lockdowns-do-not-control-the-coronavirus-the-evidence/

Dieser Artikel wurde in deutscher Sprache verfasst, die französische und englischen Versionen sind Übersetzungen. Auf der luxemburgischen Seite haben wir ein Duplikat aus dem Deutschen veröffentlicht.