Deutungshoheit

Die Inzidenzrate bei den Geimpften ist seit der Kalenderwoche 11 dieses Jahres höher als die der Ungeimpften. Drei Wochen danach wurden diese Werte nicht mehr in den wöchentlichen Berichten des Gesundheitsministeriums veröffentlicht[1]. In zwei Briefen an die Gesundheitsministerin, Frau Paulette Lenert, hat sich Expressis Verbis nach der Bedeutung dieser abgeänderten Kommunikation erkundigt. Ein Antwortschreiben vom 07.06.2022 war wenig aufschlussreich und ging nicht auf die gestellten Fragen ein[2].

Im letzten Bericht vom 4. Juli 2022 der „Ad hoc Experten-Gruppe“ zur Impfpflicht wurde im Kapitel 15 „Effectivité vaccinale et cordon sanitaire“ im Zusammenhang mit der sektoriellen Impfpflicht nun auf dieses Thema eingegangen[3]. Da es somit in einem gewissen Sinne als Antwort auf unsere Schreiben gewertet werden könnte, wollen wir uns etwas näher damit auseinandersetzen.

Nachdem zunächst kurz erläutert wird, weshalb im Pflegebereich ein cordon sanitaire notwendig ist, lautet die Anforderung an die Impfung zusammenfassend, dass sie die Infektiosität reduzieren sollte.

Man wechselt dann zu den Inzidenzraten nach Impfstatus und stellt fest, dass diese sich annähern, ja, dass sogar diejenige der Geimpften zuletzt höher ist. Folgende Grafik wird gezeigt:

Wir sehen jetzt einmal davon ab, dass zum einen der dargestellte Zeitraum (1. September 2021 bis Anfang April 2022) nicht dem in der Beschreibung entspricht, und es sich zum anderen nicht um Inzidenzen, sondern um Inzidenzraten handelt (da ansonsten ein Vergleich ja keinen Sinn ergeben würde).

Obschon dieser Bericht Anfang Juli veröffentlicht wird, endet der betrachtete Zeitraum bereits Anfang April, dem Datum ab dem keine täglichen Inzidenzraten nach Impfstatus mehr veröffentlicht wurden.

Wir können diese Grafik jedoch aktualisieren, da die wöchentlichen Fallzahlen nach Impfstatus seit der 41. Kalenderwoche 2021 zurzeit immer noch veröffentlicht werden. Zusammen mit der Impfquote laut ECDC können die Inzidenzraten somit nach Impfstatus berechnet werden und wir erhalten folgende Grafik: Die durchgezogene Linie wurde nach den verfügbaren Werten in den Wochenberichten, die gestrichelte aus den Fallzahlen nach Impfstatus (auch aus den Wochenberichten) berechnet[1].

Das Verhältnis (Inzidenzrate Geimpfte) / (Inzidenzrate Ungeimpfte) wird auch noch als relatives Risiko bezeichnet. Es gibt das Verhältnis der Wahrscheinlichkeit an, mit dem man sich als Geimpfter im Vergleich zu einem Ungeimpften infiziert. Die Grafik im Bericht endet Anfang April mit einem Verhältnis von über 1,4 welches in den Folgewochen weiter bis auf Werte teilweise über 1,8 anwächst. Wir befinden uns somit aktuell in der Größenordnung, wo man als Geimpfter ein fast doppelt so hohes Risiko hat, sich anzustecken.

Im Bericht wird nun anhand von 5 Punkten versucht zu erklären, wie dieser Sachverhalt zustande kommt.

1. Verhalten (Comportement)

Wir zitieren:

Les personnes vaccinées ont tendance à modifier leur comportement pour adopter une nouvelle normalité avec un risque d’exposition au virus et un risque d’infection plus élevés. Cela augmente l’incidence chez les individus vaccinés.

Geimpfte würden sich demnach häufiger anstecken, da sie sich aufgrund ihres Status sicherer fühlen und sich dementsprechend leichtsinniger verhalten. Abgesehen davon, dass wir in unserer alltäglichen Erfahrung eher die gegenteilige Beobachtung machen, hätten wir uns bei dieser Behauptung über die Angabe einer Quelle, die den wissenschaftlichen Beweis hierzu liefert, gefreut.

Jetzt zu den Ungeimpften:

En revanche, les individus non-vaccinés peuvent adopter l’un des deux comportements suivants : (i) ils refusent la vaccination, mais conscients de leur vulnérabilité, ils adaptent leur comportement pour éviter l’infection ;

Auch dieses Verhalten sehen wir eher weniger im Alltag bestätigt, eine wissenschaftliche Begründung fehlt dann auch wieder hier.

(ii) d’autres, qui ne « croient » pas à la COVID-19 en tant que maladie potentiellement grave ou à la vaccination, peuvent déjà être partiellement protégés par une infection antérieure. Ces deux comportements réduisent l’incidence chez les individus non-vaccinés. Ainsi, les différences de comportement tendent à augmenter l’incidence chez les vaccinés et à diminuer l’incidence chez les non-vaccinés.

Die „Ungläubigen“ hätten sich also im Kamikaze-Stil schon irgendwann früher infiziert und sind jetzt gegen die Omikron-Variante gefeit, was ja eigentlich nur bedeuten kann, dass die durch Ansteckung erworbene Immunität zumindest in letzter Zeit weitaus effektiver gegen Omikron als diejenige, die durch den Impfstoff induziert ist.

2. Omikron (Omicron)

Im Wesentlichen wird hier nur wiederholt, was bereits im ersten Punkt gesagt wurde: Die natürlich erworbene Immunität wirkt besser gegen Omikron als die durch die Impfstoffe hervorgerufene:

Cette évolution s’accentue encore depuis l’émergence du variant Omicron hautement infectieux. Beaucoup de personnes qui comptent comme non-vaccinées se sont en fait infectées et ont développé une certaine immunité, même si elle n’est que de courte durée, contre ce variant. D’autre part, les vaccins n’offrent qu‘une protection relativement faible contre l’infection par ce variant.

Alter (Age)

Bei diesem Punkt geht es um den Anteil an Genesenen nach Altersgruppe und Impfstatus.

Si la majorité de la population luxembourgeoise est désormais vaccinée, il y a une forte prépondérance de vaccinés parmi les personnes âgées (l’âge moyen des vaccinés est de 45,1 ans, contre 26,3 ans pour les non-vaccinés). Notamment parmi les enfants et les jeunes adultes, beaucoup de personnes qui n’étaient pas encore vaccinées, se sont infectées et ensuite rétablies (graphique 15.2). Ces personnes comptent parmi les personnes non-vaccinées, mais elles ont acquis une certaine immunité en raison de l’infection.

Wir können nur feststellen, dass mittlerweile zum 3. Mal die gleiche Erklärung benutzt wird: Ein großer Anteil der Ungeimpften sind Kinder und Jugendliche, welche sich früher infiziert haben und deshalb jetzt immun sind.

Dabei grenzt es unserem Empfinden nach fast schon an Zynismus, die durch die Testorgien an den Schulen künstlich aufgeblasen Inzidenzen jetzt nochmals als Argument für die Impfstoffeffektivität zu recyceln. Wir erinnern uns: von April 2021 bis 2022 wurden fast sämtliche Schüler des Fondamental und Enseigenement secondaire teilweise bis zu dreimal wöchentlich getestet. Die Grafik 15.2 ist daher sogar eher entlarvend, zeigt sie doch einen plausibel nicht nachvollziehbare höheren Anteil von Genesenen in einer Altersgruppen für die Covid-19 kein größeres Problem darstellt.

4. Zeitabstände (Intervalles)

Auch wenn bei der Impfung Anfang 2021 mit der ältesten Altersgruppe begonnen wurde, liegt aktuell durch die erste und zweite Auffrischimpfung die letzte Injektion bei dem Großteil der über 60-Jährigen nicht mehr als 6 Monate zurück.

Si beaucoup d’infections étaient plutôt récentes (en raison de l’infectiosité élevée d’Omicron), les personnes les plus âgées étaient parmi les premières à recevoir leurs premières doses et de voir leur immunité s’estomper.

Das würde dann also bedeuten, dass die Impfung in dieser Altersgruppe nicht ausreichend vor Infektion schützt oder die „Booster“ in noch kürzeren Abständen erfolgen müssten.

5. Impfstoff (Vaccin)

Wollte man hier möglichst viele Punkte aufzählen, oder wie ist es ansonsten zu erklären, dass hier mehr oder weniger die Argumente aus „Omikron“ und „Alter“ übernommen werden?

Beaucoup de jeunes se sont infectés par Omicron et ont développé une certaine protection, même de courte durée, contre ce variant, tandis que les vaccins actuels protègent moins bien contre l’infection par Omicron.

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass außer den unbewiesenen Aussagen über das Verhalten der Geimpften/Ungeimpften im Wesentlichen der Unterschied in den Inzidenzraten durch eine höhere Wirksamkeit einer natürlich erworbenen versus einer Impfstoff induzierten Immunität erklärt werden kann.

Von ihrer Deutungshoheit Gebrauch machend, wird der Vergleich der Inzidenzraten von der Experten-Gruppe abschließend als voreingenommen qualifiziert und somit als irrelevant für jetzt und in Zukunft erklärt.

Ainsi, les incidences fournissent une vision biaisée de l’effet de la vaccination sur l’ infectiosité de l’ensemble de la population et ne peuvent servir d‘indicateur de l’infectiosité relative, entre vaccinés et non-vaccinés, ni aujourd‘hui ni pour la vague en automne.

Es fällt auf, dass diese Voreingenommenheit jedoch scheinbar keine Rolle spielt, solange der Vergleich der Inzidenzraten die erwünschten Ergebnisse liefert. So war etwa noch im Oktober 2021 die Inzidenzrate der Ungeimpften dem „L’essentiel“ eine Schlagzeile wert[4].

Die Experten-Gruppe möchte sich hingegen auf die „Impfstoff-Effektivität gegen Infektion“ stützen und verlangt hier einen Wert von mindestens 50 %.

C’est pourquoi la recommandation est basée sur l’effectivité vaccinale contre l‘infection. Nous proposons que celle-ci devrait être d’au moins 50% contre le variant dominant pour justifier une vaccination obligatoire en vue d’établir un cordon sanitaire pour les plus vulnérables.

Ab hier wird es dann vollends absurd: Die „Impfeffektivität gegen Infektion“ ist unmittelbar mit den Inzidenz(rat)en der Geimpften/Ungeimpften verknüpft, es ist darüber hinaus schlicht unmöglich sie anderweitig zu berechnen. Das in der Grafik 15.1 benutzte Relative Risiko (RR) und die Impfstoff-Effektivität (VE) hängen über die Formel

    \[VE = 1 - RR \]

unmittelbar zusammen[5].
Rechnen wir auf diese Weise die Impfstoff-Effektivität, so ergibt sich als Grafik:

Bemerkung: eine wöchentlich aktualisierte Version dieser Grafik finden Sie hier.

Die Impfstoff-Effektivität ist somit schon seit Monaten im negativen Bereich, was darüber hinaus nicht weiter verwunderlich ist. Bereits zu Anfang der Omikron-Welle, im Dezember 2021, stellte eine dänische Studie eine negative Impfeffektivität für Geimpfte mit Grundimmunisierung sowohl für die Biontech- als auch für die Moderna-Impfstoffe fest[6]. Die Balken in grün (Omikron-Variante) befinden sich für den Zeitraum „3 bis 5 Monate seit vollem Impfschutz“ deutlich im negativen Bereich.

Ein erst kürzlich erschienene Studie aus Großbritannien kann selbst für die dritte Dosis auch nur eine negative Impfeffektivität für Omikron feststellen[7]:

The vaccine effectiveness (VE) for the third dose was in negative since December 20, 2021, with a significantly increased proportion of SARS-CoV2 cases hospitalizations and deaths among the vaccinated; and a decreased proportion of cases, hospitalizations, and deaths among the unvaccinated.

Eine Grafik der Studie zeigt die Impfstoff-Wirksamkeit nach Impfdosis für den Zeitraum von September 2021 bis März 2022.

Fazit

Die Covid19-Impfstoffe können nicht nur keine Infektion verhindern, sie begünstigen sie sogar. Zu diesem Resultat kommen nicht nur wissenschaftliche Studien, es ist auch eine Erfahrung, welche im Alltag gemacht werden kann. Die im letzten Bericht der Ad hoc Experten-Gruppe dargelegten Erklärungen zu diesem Phänomen überzeugen nicht. Am Ende des Tages scheint doch die, wie auch immer erlangte natürliche Immunität einen klaren Vorteil auf diejenige zu haben, welche durch Vakzine induziert wurde.

Dieses Phänomen wissenschaftlich zu untersuchen wäre somit von absoluter Dringlichkeit, mögliche Antworten wie etwa das Antibody-dependent enhancement (ADE) werden ja bereits angedacht.

Ein Impfstoff, welcher keine sterile Immunität herstellen kann, im Gegenteil sogar Infektionen begünstigt, verhindert somit eher die Herstellung einer Herdenimmunität und kann ebenfalls nicht zu einem Fremdschutz beitragen.

Konsequenterweise wäre also die Impfpflicht und damit auch alle 2G/3G-Regeln vom Tisch. Aber so einfach ist es scheinbar nicht.

Quellen

[1] Expressis Verbis (29.05.2022): Malen nach Zahlen
https://www.expressis-verbis.lu/2022/05/29/malen-nach-zahlen/

[2] Antwortschreiben Frau Lenert
https://www.expressis-verbis.lu/wp-content/uploads/2022/07/reponse-lenert.pdf

[3] Groupe ad hoc d’experts (04.07.2022): INSTAURATION D’UNE OBLIGATION DE VACCINATION CONTRE LE CORONAVIRUS
https://gouvernement.lu/dam-assets/documents/actualites/2022/07-juillet/05-briefing-groupe-experts/20220704-avis-complementaire-obligation-vaccinale-final.pdf

[4] L’essentiel (20.10.2021): Le taux d’incidence des non-vaccinés à plus de 222
https://www.lessentiel.lu/fr/story/le-taux-d-incidence-des-non-vaccines-a-plus-de-222-295551830300

[5] Wikipedia: Impfstoffwirksamkeit
https://de.wikipedia.org/wiki/Impfstoffwirksamkeit

[6] Vaccine effectiveness against SARS-CoV-2 infection with the Omicron or Delta variants following a two-dose or booster BNT162b2 or mRNA-1273 vaccination series: A Danish cohort study
https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.12.20.21267966v3

[7] Increasing SARS-CoV2 cases, hospitalizations and deaths among the vaccinated elderly populations during the Omicron (B.1.1.529) variant surge in UK
https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2022.06.28.22276926v3