Parallelwelt der Zahlen

In der Wissenschaft spielt die Messung von Eigenschaften der beobachteten Objekte eine zentrale Rolle. Wir erwarten uns bei diesem Vorgang verlässliche, möglichst präzise Resultate, deren nachfolgende Analyse uns unter anderem befähigen soll, Phänomene zu erklären, Zusammenhänge zu identifizieren oder sogar Prognosen für zukünftige Entwicklungen zu erstellen. Eines der in diesem Zusammenhang standardmäßig verlangten Gütekriterien ist neben Validität und Reliabilität die Objektivität[1]: Eine Messung soll unabhängig von der Person sein, die sie vornimmt, respektive welche die Bedingungen bestimmt, unter denen die Messung ausgeführt wird (nein, wir reden hier nicht von Quantenphysik).

Das Ermitteln von Covid-19-Fällen mittels PCR-Tests stellt eine solche Messung dar, somit sollten auch die hier genannten Kriterien eingehalten werden. In den letzten Monaten wurden unter anderem durch das Aufkommen der Omikron-Variante die praktische Ausführung des Contact Tracing mehrmals geändert. Dieser Umstand erlaubt uns aufschlussreiche Rückschlüsse auf die Objektivität in diesem Zusammenhang, wie wir im Folgenden sehen werden.

Seit dem 6. Dezember 2021 veröffentlicht das Gesundheitsministerium in seinen täglichen Covid-19-Berichten die Inzidenzraten (auf 100.000 Personen) von Geimpften und Ungeimpften[2]. Wir haben diese Daten für den Zeitraum 06.12.2021 bis 07.04.2022 in folgender Grafik visualisiert.

Da übers Wochenende keine Berichte erstellt werden, sind für die Wochentage Freitag und Samstag hier keine Daten verfügbar. Auf der Covid19-Webseite werden diese Daten zwar durchgehend für alle Tage visualisiert, sie wurden allerdings bereits mit einem gleitenden Mittelwert versehen, welche für unsere Zwecke von Nachteil ist.

Es fällt auf, dass sich das Verhältnis der beiden Inzidenzraten laufend ändert. Im Januar beispielsweise ist die Rate der Ungeimpften (blau) viel höher als die der Geimpften, während sich dieses Verhalten in der 2. Hälfte des Monats März umkehrt.

Wir möchten hierfür eine Erklärung finden, und betrachten deshalb die aus diesen Raten resultierende Impfstoffeffektivität(vaccine effectiveness)[3]. Diese kann abgeschätzt werden mit der Formel:

    \[ E = 1 -  \frac{I_V}{I_U} \]

wobei I_V und I_U die Inzidenzraten (positiv Getestete pro 100.000) der Geimpften bzw. der Ungeimpften sind.

Wir sind uns bewusst, dass die so ermittelte Zahl nur eine sehr grobe Abschätzung dieser Größe liefern kann. Dies ist für die weiteren Ausführungen jedoch nicht von Belang, da es vorwiegend darum geht, die Inzidenzraten in ein Verhältnis zu setzen. Betrachtet man etwa den Quotienten der beiden Raten (wie er auch in den täglichen Berichten angegeben wird) so kommt man in diesem Zusammenhang zur gleichen Schlussfolgerung. Die Impfstoffeffektivität erlaubt jedoch darüber hinaus eine Interpretation, welche in folgender Tabelle wiedergegeben wird.

ImpfstoffeffektivitätBedeutung
100%von den Geimpften erkrankt niemand
über 0 %die Inzidenzrate der Geimpften ist niedriger als die der Ungeimpften:
die Impfung hat einen positiven Effekt
0%keine Wirkung
unter 0%die Inzidenzrate der Geimpften ist höher als die der Ungeimpften:
die Impfung hat einen negativen Effekt

Die aus den Inzidenzraten errechnete Impfstoffeffektivität wird in folgender Grafik gezeigt.

Hier zeigen sich die eingangs erwähnen Schwankungen noch deutlicher. Da die Impfstoffeffektivität sich nicht so kurzzeitig ändern kann, muss dieses Phänomen einen anderen Grund haben.

Mit dem Aufkommen der Omikron-Variante geriet das Contact Tracing an seine Leistungsgrenze. In dem von uns betrachteten Zeitraum hat sich dessen Modus Operandi daraufhin zweimal geändert:

  • Ab 31. Dezember bekamen bei einem „risikoreichem“ Kontakt nur noch Ungeimpfte eine Quarantäneverordnung, welche nach 7 Tagen durch einen negativen PCR-Test beendet werden musste[4]. Bis zu diesem Zeitpunkt waren solche Verordnungen also noch für alle erfolgt. Es ist davon auszugehen, dass diese Änderung erst mit einiger Verspätung ihre Wirkung zeigte, und ab dann Geimpfte (und Genesene) nicht mehr mit positiven PCR-Tests zur Statistik in der Kategorie „Contact Tracing“ beitrugen.
  • Am 11. Februar schließlich wurde die Quarantäne allgemein, unabhängig vom Impfstatus abgeschafft[5].

(In diesen Zeitraum (11. Januar) fiel auch eine neue Version des Covid-Gesetzes[6]. Dieses hatte jedoch keinen Einfluss auf das Contact Tracing.)

In der folgenden Grafik sind die Daten dieser Änderungen nun eingezeichnet, wir haben darüber hinaus zur besseren Übersicht die Punkte nach ihren Werten gruppiert.

Eine erste Unstetigkeit um Weihnachten 2021 ist wohl auf den Ausbruch der Omikron-Welle zurückzuführen: hier erwies sich der Impfschutz gegenüber der neuen Variante wohl als weniger wirksam, was zu einer verminderten Impfstoffeffektivität geführt hat.

Offensichtlich sind die weiteren sprunghaften Änderungen zum größten Teil durch die Art und Weise bedingt, wie das Contact Tracing ausgeführt wird: zwischen Anfang Januar und Mitte Februar werden nur die Ungeimpften am Ende der Quarantäne weiterhin mit einem PCR-Test getestet, was in dieser Gruppe zu einer höheren Fallzahl und Inzidenzrate führt, und entsprechend dann zu einer besseren Impfstoffeffektivität.

Dies hat allerdings weitreichende Konsequenzen auf die Aussagekraft der vom Gesundheitsministerium veröffentlichen Daten.

Wenn wir uns die grundlegende Frage stellen, was überhaupt gemessen werden soll, ist die Antwort in diesem Zusammenhang natürlich die Gesamtzahl der Covid19-Fälle nach der Definition der WHO, also alle Personen mit einem positiven PCR-Test[7]. Hier wird jedoch bewusst ein Teil ignoriert, nämlich alle Geimpften, welche potenziell nach der Quarantäne positiv getestet worden wären. Wir erhalten somit nicht nur falsche Werte für die Fallzahlen der Geimpften in diesem Zeitraum, sondern auch für alle anderen Größen, welche hiervon abgeleitet werden:

  • Inzidenzrate der Geimpften
  • Gesamtzahl der positiven Tests
  • Positivitätsrate der Tests
  • Effektive Reproduktionszahl
  • usw.

Trotz dieses weitreichenden Eingriffes in die Nachverfolgung der positiven Fälle, und den damit verfälschenden Einfluss auf fast alle statistischen Größen, wurden sämtliche Zahlen ohne jegliche Korrektur oder Kommentar weiter publiziert. Dies stellt eine Praktik dar, die man nur als höchst unseriös und unwissenschaftlich bezeichnen kann.

Der Nebel lichtet sich

Mit der Änderung am 11. Februar werden jetzt zumindest alle Personen unabhängig vom Impfstatus bezüglich Quarantäneverordnung gleich behandelt, was erstmalig einen mehr oder weniger realen Vergleich ermöglicht.

Durch die jetzt sehr niedrige Zahl an Impfungen wird darüber hinaus ein weiterer „Störfaktor“ eliminiert: die positiven Fälle durch die Impfreaktionen nach der ersten Dosis, welche den Ungeimpften zugerechnet werden[8].

Seit Ende Februar war wiederholt die Inzidenzrate der Geimpften höher als die der Ungeimpften, die Impfstoffeffektivität also entsprechend negativ. Führt man eine lineare Regression durch, so ergibt sich mit brauchbarer Korrelation (R2 = 0,57) eine doch klar nach unten zeigende Tendenz (ca. -1 % pro Tag).

Wir möchten noch einmal betonen, dass dies allein betrachtet nur eine bedingte Aussagekraft über die tatsächliche epidemiologische Situation hat. Allerdings tritt eine entsprechende Entwicklung verstärkt und zum Teil auch schon länger in den Statistiken anderer Länder auf.

So hat etwa jüngst das RKI in seinem Wochenbericht vom 31.03.2021[9] festgestellt, dass für die Altersgruppe 18 bis 59 Jahre die Impfung kaum noch Vorteile bei symptomatischen Fällen bringt, und eher eine gegenteilige Tendenz zu beobachten ist.

In Großbritannien wurden schon seit Wochen höhere Inzidenzraten bei den Geimpften als bei den Nicht-Geimpften gemessen[10]. Diese Informationen werden jetzt allerdings seit der 14. Woche nicht mehr mitgeteilt:

From 1 April 2022, the UK Government ended provision of free universal COVID-19 testing for the general public in England, as set out in the plan for living with COVID-19. Such changes in testing policies affect the ability to robustly monitor COVID-19 cases by vaccination status, therefore, from the week 14 report onwards this section of the report will no longer be published.

Bleibt abzuwarten, bis wann unser Gesundheitsministerium noch Daten zu den Inzidenzraten von Geimpften und Ungeimpften veröffentlicht.

UPDATE 11.04.2022 20h00:

Es ist bereits soweit, diese Daten werden ab heute nicht mehr veröffentlicht (Tagesbericht des Gesundheitsministeriums vom 11.04.2022).

Zur Info: die Inzidenzraten sind augenblicklich im Mittel noch höher als während des gesamten Jahres 2021 (Screenshot: https://covid19.public.lu/fr/graph.html ):

Parallelwelt der Politik

Eine höhere Inzidenzrate bei den Geimpften im Vergleich zu den Ungeimpften kann nicht allein durch ein Nachlassen der Wirkung der Impfung erklärt werden. Hier herrscht also Klärungsbedarf, insbesondere auch deshalb, weil vermehrt Krankheitsbilder bei Geimpften beobachtet werden, welche auf eine allgemeine Schwächung des Immunsystems schließen lassen, wie etwa Gürtelrose.

Zu dieser Sachlage sind bereits erste wissenschaftliche Publikationen erschienen. In unseren Breitengraden leistet vorrangig der Heilpraktiker Florian Schilling auf diesem Gebiet Pionierarbeit. Wir berichten zu diesem Thema in einem kürzlich erschienenen Artikel[11].

Unseren politisch Verantwortlichen scheinen jedoch all diese Entwicklungen nicht bekannt zu sein oder sie werden willentlich ignoriert. Wie auch immer: man hält weiter am eingeschlagenen Kurs (einer Impfpflicht) fest.

Die berechtigte Frage, die sich allerdings stellt, ist, wie lange hier noch weggeschaut werden kann.


Quellen

[1] Validität, Reliabilität und Objektivität – Die quantitativen Gütekriterien
https://www.scribbr.de/methodik/validitaet-reliabilitaet-objektivitaet/

[2] Covid19-Tagesberichte des Gesundheitsministerium
https://data.public.lu/fr/datasets/covid-19-rapports-journaliers/

[3] Wikipedia: Impfstoffwirksamkeit
https://de.wikipedia.org/wiki/Impfstoffwirksamkeit

[4] COVID-19: Anpassung der Funktionsweise des Contact Tracing, um die Rückverfolgung von Kontakten zu erleichtern
https://covid19.public.lu/de/aktuelles-covid19/communiques/2021/12/31-contact-tracing.html

[5] Neues COVID-19-Gesetz: Lockerung einiger Maßnahmen
https://covid19.public.lu/de/aktuelles-covid19/communiques/2022/02/11-gesetz.html

[6] Anpassung des COVID-Gesetzes
https://covid19.public.lu/de/aktuelles-covid19/communiques/2022/01/11-anpassung-gesetz.html

[7] WHO Covid-19 case definition
https://apps.who.int/iris/rest/bitstreams/1322790/retrieve

[8] Expressis Verbis: Pandemie der Geimpften
https://www.expressis-verbis.lu/2021/11/03/pandemie-der-geimpften/

[9] RKI: Wochenbericht vom 31.3.2022
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Wochenbericht/Wochenbericht_2022-03-31.pdf

[10] UK Health Security Agency: COVID-19 vaccine surveillance report – Week 13, S. 45, Tabelle 14
https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/1066759/Vaccine-surveillance-report-week-13.pdf

[11] Expressis Verbis: Post-Vakzin Syndrom
https://www.expressis-verbis.lu/2022/04/09/post-vakzin-syndrom/