So viele Worte und Wörter

Ein Rückblick auf das vergangene Jahr

Wir bedanken uns bei unserem Kollegen Michel Decker dafür, dass er diesen im Dezember 2021 im Kulturissimo erst erschienenen Artikel mit uns teilt. Auch ihm ist die große Veränderung, die wir zurzeit bei unserer Sprache feststellen müssen, nicht entgangen.

Das Jahr 2021 war die Fortsetzung des ersten Coronajahres 2020. Also Jahr Zwei in der Corona-Zeitrechnung. Den einen bekommt die neue Lebensart besser, den anderen schlechter. Die gute Nachricht für die einen ist, dass es seit Corona 135 Milliardäre mehr gibt auf dieser Welt. Und die, welche schon Milliardär waren, konnten ihren Reichtum in der Regel erheblich mehren. Für die weniger Begünstigten, d. h. die große Mehrheit, bleibt die Aufgabe, den Schaden zu beheben. So die Staatsverschuldung zu begleichen, die durch die zahlreichen Coronamaßnahmen in allen Ländern erheblich gestiegen ist. Das bedeutet weitere Sparmaßnahmen für den Normalverbraucher, wohl auch im Gesundheitswesen. Man kann mit Brecht sagen:

„Denn die einen sind im Dunkeln und die andren sind im Licht, und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“

Berthold Brecht

Noch mal Brecht

Neben Corona hat der Klimawandel die Menschen im Jahr 2021 beschäftigt, besonders wegen der großen Veranstaltung, die in Glasgow im November unter dem Titel COP 26 über die Bühne ging. Die Feststellung wurde bestätigt, dass schwere Zeiten auf uns alle zukommen werden wegen des Klimawandels. Aber sofortige eingreifende Maßnahmen wurden kaum beschlossen. Außer guten Absichten, unseren Verbrauch von Energie und anderen Rohstoffen irgendwann in den nächsten Jahrzehnten zu senken. Dann aber massiv! Und wieder kann man ganz passend Brecht zitieren:

„Ja, mach nur einen Plan, sei nur ein großes Licht, und mach dann noch ‘nen zweiten Plan, gehn tun sie beide nicht.“

Berthold Brecht, Dreigroschenoper

Man kann einfach nicht einerseits in der Wirtschaft überall auf Wachstum setzen und andererseits die Lösung der Probleme im Gegenteil von Wachstum festmachen. Das grenzt schon stark an Schizophrenie aufseiten der Politik. Die Wirtschaft, mit ihrem kurzfristigen Denken, freut sich natürlich darüber und macht weiter, wie gehabt. Wer glaubt, dass Elektroautos die Lösung des Klimaproblems sein können, glaubt wohl auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten. Ein kleiner Aufklärungsansatz diesbezüglich könnte sein, in unseren Schulen auf die elementaren Naturgesetze der Physik hinzuweisen. Als Erstes gilt, je schwerer die Last, die ich bewege, desto mehr Energie benötige ich. Dies gilt auch für die schweren Autos, mit denen viele Leute immer noch in der Gegend herumfahren. Ein zweiter Grundsatz bezüglich Bewegung sagt, dass je schneller ich eine Last beschleunige, desto mehr Energie muss ich aufbringen. Wenn man diese Grundsätze auf die Automobilbranche anwendet, muss man sich fragen, ob die tägliche Werbung für die schönen, großen Autos, mit immer höherer Beschleunigungsleistung die Kunden nicht mit viel Marketinggeschick in die absolut falsche Richtung führt. Es ist also wichtig, z.B. den fossilen Energieverbrauch zu senken und damit dessen Produktion. Nur, das Problem ist, dass die großen Energiefirmen damit nicht vorangehen werden, solange sie noch Unmengen an Geld mit ihren bisherigen Geschäften verdienen können. Es müssten also die Regierungen sein, die diese Maßnahmen vorgeben im Interesse der Bürger. 

        

Verträge

Nun kann man lesen, dass die Energiefirmen sich gegen solche Maßnahmen zur Wehr setzen. Und zwar, indem sie Regierungen vor internationalen Schiedsgerichten verklagen. Mit guten Aussichten auf Erfolg, da unsere Regierungen in den letzten Jahren mehrere internationale Handelsabkommen unterschrieben haben, ohne deren Inhalt und die möglichen Folgen öffentlich zu diskutieren. Und diese Abkommen enthalten viele Möglichkeiten, die Regierungen unter Druck zu setzen; dagegen fehlen die Möglichkeiten, die den Regierungen erlauben würden, die Firmen unter Druck zu setzen. Da haben sich unsere Regierenden kräftig über den Tisch ziehen lassen; wohl mit ein Grund, warum diese Verträge eher geheim ausgehandelt wurden. Hoffen wir, dass die gleichen Regierenden nicht ähnliche Fehler gemacht haben bei den Milliardenverträgen, jüngst und fortlaufend, mit der Pharmaindustrie.  

Aber zurück zu den Energiekonzernen.

Einer dieser äußerst mächtigen Energiekonzerne ist Total, das größte, französische Unternehmen. Dieses Unternehmen ist in Luxemburg sehr positiv bekannt als Sponsor etwa der Basketballföderation, deren Basketballmeisterschaft in der sogenannten „Total League“ ausgetragen wird. Somit bekommen die sportlichen Jugendlichen gleich von Anfang an eine positive Beziehung zu diesem Energiegiganten. Und niemand erzählt ihnen, was der Konzern konkret noch so macht, außer Sportler zu unterstützen, obschon das sehr interessant ist. So kann man erfahren, dass Total illegal Erdölpreise abgesprochen und Märkte aufgeteilt hat, Afrika kolonisiert hat, um es auszubeuten und mit rassistischen Regimen zusammengearbeitet hat; zudem Diktatoren bestochen und seine Riesengewinne in Steuerparadiese untergebracht hat und somit einen lächerlichen Betrag an Abgaben leisten muss. All dies kann man nachlesen bei dem kanadischen Philosophen Alain Deneault in seinem Buch (2017) „De quoi Total est-elle la somme?“ Wer hätte das von dem netten Sponsor in Luxemburg gedacht? Und diese falschen Firmenfassaden könnten mit ein Grund sein, warum viele Menschen sich eine Welt ohne die Multis nicht vorstellen können oder wollen. Den Klimawandel auf Weltebene bekämpft doch unsere EU-Kommission mit ihrem Green Deal; mal schauen ob diese Initiative diesmal etwas mehr als nur heiße Luft produziert. 

Sprachveränderung

Etwas, das dem schreibenden Menschen in dieser unserer Zeit ganz besonders aufgefallen ist, ist die fulgurante Veränderung der Sprache. Dies lässt sich besonders für die deutsche Sprache festmachen, da diese Sprache sich für die Schaffung neuer Wörter geradezu anbietet, im Gegensatz zu anderen Sprachen, wie die französische. Und auch Begriffe aus Fremdsprachen nimmt sie leichter an, besonders wenn sie aus dem angelsächsischen Raum kommen. Es handelt sich hier um Begriffe wie Lockdown, Virenbomber, Onlinehappening, Risikotouristen, Präsenzpublikum, AHA-Regel, 3G-Modell, Impfneid und viele mehr. Ganze 1500 neue Wörter sind seit 2020 in den täglichen Gebrauch gekommen, wobei für den normalen Sprachgebrauch im Mittel 750 Wörter ausreichend sind. Dieses neuartige Sprachphänomen lässt den Sprachinteressierten unmittelbar an Victor Klemperer denken, den deutschen Philologen, der ganz detailliert den Einfluss der Sprache bei der Einführung des nationalsozialistischen Systems  der Dreissigerjahre in Deutschland untersucht hat. Schon der Titel seines Buches „LTI-Notizen eines Philologen“ (LTI steht für Lingua Tertii Imperii) ist ein Seitenhieb auf die zahlreichen Kürzel aus der Sprache des Nationalsozialismus, wie HJ (Hitlerjugend), BDM (Bund deutscher Mädchen), KdF (Kraft durch Freude). Klemperer kommt zu dem Ergebnis, dass die Sprache in der Zeit des Nationalsozialismus die Menschen weniger durch einzelne Reden, Flugblätter oder Ähnliches beeinflusst habe als durch die stereotype Wiederholung der immer wieder gleichen, mit nationalsozialistischen Vorstellungen besetzten Begriffe.

Kreativität

Bezüglich der oben erwähnten 1500 Wortneuschöpfungen seit Corona sagt die Sprachlehrerin Kerstin Chavent: „Die vielen neuen Worte sind keine leeren Hüllen, sondern Inhalts-schwangere Überträger von Botschaften. Auf einen Schlag waren die Begriffe in aller Munde. In rasendem Tempo haben auch die Älteren begriffen, was Lockdown bedeutet, AHA, Inzidenz oder 2G. Es ist, als hätten wir in kürzester Zeit eine neue Sprache gelernt.“ Seit Victor Klemperer wissen wir, dass die kleinen Informationseinheiten nicht brav in der Ecke sitzen und darauf warten, irgendwann abgerufen zu werden. Die Meme formen unsere Gedanken und Ideen. Und erst seit es die Begriffe gibt, können wir uns sie vorstellen, Begriffe wie Hotspot, Immunitätsnachweis, Lockerungsszenario, Onlinesemester, Kontaktnachverfolgungsapp. Und für die Kritiker der Corona-Maßnahmen hat das Leibnitz-Institut für Deutsche Sprache vier Ausdrücke aufgenommen: Verschwörungserzählung, Verschwörungsgläubiger, Verschwörungsmärchen, Verschwörungsmythos. Das, wofür es ein Wort gibt, das existiert. Zunächst in unseren Köpfen, dann in unserer Realität. Hier noch einige Beispiele von Wortneuschöpfungen: Hotspotstrategie, Rückkehrerflugplan, Spuckschutztrennscheibe, Boostern, Wellenbrechershutdown, Beherbergungsverbot, Eindämmungsmaßnahme. Erstaunlich, was der Mensch alles erfinden kann!

Da wir schon bei der Sprachwissenschaft sind, ist es nicht uninteressant festzustellen, dass verschiedene Grundbegriffe mit der Zeit eine andere Definition erhalten haben. So etwa der Begriff Pandemie, der bei allen Menschen eine Bedrohung signalisiert durch ansteckende Krankheit mit vielen Toten. Dies war auch korrekt bis 2009. Aber 2009, kurz vor Ausbruch der Schweinegrippe, wurde die  offizielle Definition des Begriffs Pandemie von der Weltgesundheitsorganisation WHO dahin gehend erleichtert, dass die vielen Kranken und Toten aus der Definition verschwunden sind. Somit können alle Krankheitserreger, die sich weltweit ausbreiten, eine Pandemie darstellen, unabhängig davon, ob mit vielen Kranken und Toten oder nicht.

Ähnliches ist geschehen mit dem Begriff Impfung. Erst seit 2020 dürfen im Rahmen von Corona die gentechnischen Eingriffe der jetzigen Injektionen Impfungen genannt werden. Dieser alte Begriff Impfung wird von den Menschen mit den herkömmlichen Impfungen assoziiert, ohne auf die Neuerung einzugehen. Und es soll auch eine Neudefinition des Begriffs der Immunität geplant sein, in die Richtung gehend, dass nur immun sein kann, wer geimpft worden ist. Eine natürliche Immunität, die man durch das Durchstehen einer Krankheit seit jeher gewinnen konnte, würde nicht mehr anerkannt.

Der Sinn der Wörter und Definitionen kann das Leben der Menschen verändern. Aus dem Grunde lohnt es sich, etwaigen Eingriffen in das Bestehende immer skeptisch genug gegenüberzustehen. Übrigens, skeptisch kommt vom Griechischen „skeptomai“, was so viel heißt wie denken. Und das Denken sollten wir uns auf keinen Fall verbieten lassen. Wobei uns auffallen könnte, dass der im deutschen Sprachraum sehr geläufige Begriff der 3G-, 2G- oder 1G-Regeln in Coronazeiten nichts anderes aussagt, als den Bürgern immer noch ein Großteil ihrer Grundrechte zu verweigern. Aber 2-G-Regel klingt doch vornehmer als etwa dauernder Ausnahmezustand, oder nicht?

Der Optimist kann nur hoffen, dass der Ausnahmezustand sich im nächsten Jahr nicht weiter fortsetzt.

Michel Decker