Im Rausch der Pharmakovigilanz

Ein kürzlich erschienener Post mit dem Titel „Wie kann man zur Verbesserung der Sicherheit und korrekten Anwendung von Impfstoffen gegen COVID-19 beitragen?“ auf dem Blog des Gesundheitsministeriums[1], welcher auch auf Facebook promoviert wurde, wirkte etwas befremdlich. Ging es hier darum, nach anderthalb Jahren Impfkampagne noch einmal einen Aufruf an die Bevölkerung zu richten, etwaige Nebenwirkungen der Covid19-Impfstoffe an die Pharmakovigilanz zu melden, oder sollte ein neues Argument für die Sicherheit der Impfungen in das öffentliche Bewusstsein geschleust werden? Im Artikel lesen wir:

Die Impfkampagne gegen COVID-19, die am 28. Dezember 2020 anlief, führte zu einer enormen und beispiellosen Masse an Pharmakovigilanzmeldungen für das Jahr 2021. In diesem Jahr wurden 2.158[3] Meldungen bei den zuständigen Behörden eingereicht, im Vergleich zu 92 Pharmakovigilanzmeldungen im Jahr 2020. Die Informations- und Sensibilisierungskampagne zur Pharmakovigilanz im Zusammenhang mit der Impfung gegen COVID-19 erklärt unter anderem diese steigenden Meldungen.

An anderer Stelle erfahren wir zudem, dass diese Meldungen zu 98 % auf die Covid19-Impfstoffe zurückzuführen sind[2].

Die Pharmakovigilanz geht also im Prinzip und noch vor jeder Meldung davon aus, dass die Anzahl der Meldungen über Nebeneffekte wegen der Sensibilisierungskampagne bedeutungslos sein wird. Während die politischen Autoritäten noch das Argument, dass mehr testen zu mehr positiven Resultaten führt, als Desinformation abtat, greift sie im Fall der Nebenwirkungen auf genau dieses Argument zurück: mehr Meldungen entstehen einfach aus der erfolgreichen Sensibilisierungskampagne und sagen nichts über die reale Situation aus.

Eine steile These, wenn man bedenkt, dass hierzu der wissenschaftliche Beweis erbracht werden müsste, dass die Mehrzahl dieser Meldungen in keinem Zusammenhang zur Impfung stehen.

Die Antwort, ob diese Behauptung vom Gesundheitsministerium selbst erdacht worden ist, oder ob man sich woanders inspiriert hat, findet sich beim Uppsala Monitoring Centre (UMC) welches namentlich im Artikel erwähnt wird.

Das Uppsala Monitoring Centre (UMC)

Das UMC ist im Rahmen der WHO für die Pharmakovigilanz und Medikamenten-Sicherheit zuständig und unterhält die VigiBase-Datenbank in welcher die gemeldeten Nebenwirkungen von Medikamenten und Impfstoffen gesammelt werden. Das UMC wurde von der WHO und der schwedischen Regierung 1978 gegründet und ist vom Status her eine unabhängige, non-profit Organisation, welche sich selbst finanziert[3]. Schaut man jedoch zweimal hin, relativiert sich diese Selbstfinanzierung dann doch etwas. So findet man auf der Webseite der UMC unter „Governance and funding“[4]:

UMC is independent and self-funded. We finance our operations by selling pharmacovigilance products and services to a range of external bodies, most notably the WHODrug Global portfolio of products. […]
We do not receive other funding from external sources, except for specific project grants.

Im Übrigen stellt sich prinzipiell die Frage, inwiefern die Pharmakovigilanz-Agentur der WHO „unabhängig“ sein kann, wenn der größte private Sponsor dieser Weltorganisation, die Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) gleichzeitig Grossaktionär bei BioNtech ist[5].

Doch zurück zur eingangs besprochenen Erklärung, wieso es so viele Meldungen zu Nebenwirkungen der Covid-19-Vakzine gibt. Das UMC veröffentlicht in unregelmäßigen Abständen, ungefähr zwei-bis dreimal jährlich, die Uppsala Reports. Schauen wir uns die letzte Ausgabe von November 2021 an[6].

Auf Seite 7 gibt es eine Q&A-Rubrik, betreut von der VigiBase Managerin Helena Sköld. Auf die Frage:

There has been a surge in reports of adverse drug reactions related to COVID-19 vaccines. Should we be worried?

antwortet die Agentur folgenderweise:

No, quite the contrary. Because this is the biggest mass vaccination programme in history, it makes sense that there would be a large number of reports anyway. But also, because these are new vaccines and they are so important to stopping the pandemic, health authorities at national and international level have been actively encouraging reporting. […]

Das luxemburgische Gesundheitsministerium übernimmt also hier im Copy/Paste Modus Punkt für Punkt die vorauseilende Abwehr-Argumentation des UMC. Wie das UMC, und ohne Quellenangabe der Verteidigung, erklärt also unser Ministerium, dass ein Mehr an Nebenwirkungen einfach auf mehr Meldungen zurückzuführen sind. Kein Problem für die Impfkampagne, aber ein großer Erfolg für eine Sensibilisierungskampagne, die folglich quantitativ nutzlose Daten zutage fördert.

Dass die hohe Zahl an gemeldeten Nebenwirkungen der Covid-19-Vakzine durch die Anzahl an verabreichten Impfdosen bedingt wäre, kann zudem leicht widerlegt werden: wie wir bereits einmal in einem früheren Artikel angeführt haben, wurde gegen Polio seit 1968 rund 3 Milliarden-mal geimpft, wobei hier jedoch nur ca. 123.000 unerwünschte Nebenwirkungen zu vermelden waren[7].

Von Impfzögerern und Impfgegnern

Dass es sich bei solchen stillschweigend übernommenen Argumentationen tatsächlich um eine vorauseilende Abwehrtechnik handelt, lässt sich leicht aus einem anderen Beitrag in dieser Publikation des UMC ersehen: hier wird nämlich ersichtlich, dass es vorwiegend darum geht, Impfzögerern und Impfgegnern im Voraus den Gegenwind der Nebenwirkungen aus den Segeln zu nehmen. Was ein Beitrag mit dem Titel „Countering narratives of distrust key to convincing the vaccine hesitant“ ansonsten in der Publikation einer Pharmakovigilanz verloren hat, erschließt sich einem nicht. Der auf Seite 24 zu findende Artikel besteht zum wesentlichen Teil aus Zitaten eines gewissen Dr. Tom Aechtner, welcher an der Fakultät für Human- und Sozial-Wissenschaften der Universität von Queensland/Australien Vorlesungen hält.

Aechtner bietet auf der Education-Plattform edX den Online-Kurs „Antivaccination and Vaccine Hesitancy“ an[8]. Einige Auszüge aus der Kurzbeschreibung:

In 2019 the World Health Organization listed vaccine hesitancy as one of the top ten threats to global health.
[…]
You will engage with the science of vaccination and learn crucial information about why vaccines are safe and effective.
Additionally, the course examines the most well-known vaccine myths and antivaccination persuasion strategies. These myths include stories about vaccines causing autism, questions about whether too many vaccines can overload a child’s immune system, as well conspiratorial claims that vaccines are major money-makers for BigPharma, government and doctors.

Als Partner von edX finden wir viele globale Player wie Microsoft, IBM, Google oder Amazon Web Services. Etwas diskreter ist unter „Friends of edX“ neben anderen Stiftungen übrigens auch die BMGF aufgelistet[9].

Es ist wahrscheinlich etwas naiv zu denken, dass eine Pharmakovigilanz-Agentur Meldungen über Nebenwirkungen sammelt und diese dann ergebnisoffen auswertet. Bei der UMC scheint man eher davon auszugehen, dass die Medikamente und Vakzine a priori schon sicher sind und dies dann nur noch aus den gesammelten Daten heraus bestätigt werden muss.

Berichte über unerwünschte Nebeneffekte des Gesundheitsministeriums

Wenn man die Pharmakovigilanz tatsächlich ernst nimmt, sollte man auch in regelmäßigen Abständen Statistiken zu den gemeldeten Nebenwirkungen veröffentlichen. Die Liste der bisherigen 11 Berichte findet man auf der Seite „infoVAXX“ von Covid19.lu[10].

Von April 2021 bis Februar 2022 geschah dies auch mehr oder weniger regelmäßig jeden Monat. Seit Februar 2022 wurde allerdings bis jetzt nur ein Bericht am 13. April publiziert. Aus nicht erklärbaren Gründen hat man hier dann irgendwann nach dem 1. Juni das Datum im Link von „13/04/2022“ auf „02/06/2022“ geändert, ohne dass das verlinke PDF gewechselt hätte.

Screenshot der von Wayback Machine am 1. Juni 2022 archivierten Webseite[11]:

Aktueller Screenshot der Seite vom 15. Juni:

Soll hier der Eindruck erweckt werden, dass zumindest auf den ersten Blick ein aktueller Bericht vorliegt?

Update 17.06.2022: Witzigerweise wurde diese Änderung in der französischen Version mittlerweile wieder rückgängig gemacht, in den anderen beiden Sprachen aktuell noch nicht. Hier der Link auf die archivierte Seite mit dem Datum vom 2. Juni.

Die Parallelen zum deutschen Paul-Ehrlich-Institut (PEI) sind übrigens bemerkenswert: hier hat sich die Frequenz, mit der die COVID-19-Impfstoff-Sicherheitsberichte veröffentlicht wurden, in sehr ähnlicher Weise verringert: Der letzte Bericht datiert hier vom 04.05.2022[12]. Die entsprechende Datenbank wurde am 14. April vom Netz genommen, angeblich, weil sie „nicht mehr den hohen IT-Sicherheitsanforderungen des Bundesamtes für die Sicherheit im Informationstechnik (BSI) entsprach[13].

Ereilt demnächst die luxemburgischen Berichte über unerwünschte Nebeneffekte das gleiche Schicksal, wie es auch schon bei den Inzidenzraten nach Impfstatus der Fall war[14]?

Die Veröffentlichung der Todesfälle als aufkummulierte Zahl, die sich bei den „an und mit Corona“-Verstorbenen zwecks Steigerung der Dramatik seit nunmehr zweieinhalb Jahren bewährt hat, dürfte sich in diesem Zusammenhang im Nachhinein dagegen eher als nachteilig erwiesen haben.

Karma eben.

Quellen

[1] Covid19.lu (09.06.2022): Wie kann man zur Verbesserung der Sicherheit und korrekten Anwendung von Impfstoffen gegen COVID-19 beitragen?
https://covid19.public.lu/de/blog/impfung/pharmakovigilanz.html

[2] Uppsala reports (04.05.2022): Luxembourg’s PV culture: A lesson in the benefits of cross-pollination
https://uppsalareports.org/articles/luxembourg/

[3] UMC: Get to know UMC
https://who-umc.org/about-uppsala-monitoring-centre/

[4] UMC: Governance and funding
https://who-umc.org/about-uppsala-monitoring-centre/governance-and-funding/

[5] BioNtech Press Release (04.09.2019): BioNTech Announces New Collaboration to Develop HIV and Tuberculosis Programs
https://investors.biontech.de/news-releases/news-release-details/biontech-announces-new-collaboration-develop-hiv-and

[6] Uppsala reports: Issue 85 (November 2021)
https://view.publitas.com/uppsala-monitoring-centre/uppsala-reports-85

[7] Transparenztest: WHO VigiAccess Datenbank: 2.727.041 Reports mit 6.552.626 einzelnen Impf Nebenwirkungen gemeldet
https://www.transparenztest.de/post/who-vigiaccess-datenbank-2727041-reports-mit-6552626-einzelnen-impf-nebenwirkungen-gemeldet

[8] edX: Antivaccination and Vaccine Hesitancy
https://www.edx.org/course/antivaccination-and-vaccine-hesitancy

[9] Friends of edX
https://www.edx.org/friends-edx

[10] Covid19.lu: infoVAXX
https://covid19.public.lu/de/impfung/infovaxx.html

[11] Covid19.lu: infoVAXX archiviert am 01.06.2022 auf Wayback Machine
https://web.archive.org/web/20220601022450/https://covid19.public.lu/de/impfung/infovaxx.html

[12] PEI: Sicherheit von COVID-19-Impfstoffen
https://www.pei.de/DE/newsroom/dossier/coronavirus/arzneimittelsicherheit.html

[13] PEI: Datenbank zu Arzneimittelnebenwirkungen
https://www.pei.de/DE/arzneimittelsicherheit/pharmakovigilanz/uaw-datenbank/uaw-datenbank-node.html

[14] Expressis Verbis (29.05.2022): Malen nach Zahlen
https://www.expressis-verbis.lu/2022/05/29/malen-nach-zahlen/