Die prästabilierte Harmonie der Presse
Eine der überraschendsten Auswirkungen der Pandemie bis heute war die außerordentliche Homogenisierung der Berichterstattung in Fernsehen, Radio und Printmedien.
Einige haben versucht, dies als eine „Gleichschaltung” zu sehen, die an den politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Prozess des Nationalsozialismus in den 1930er-Jahren erinnern sollte.
Auch wenn man einige Elemente der Analogie in diesem Vergleich verstehen kann, so scheint er doch gleichzeitig übertrieben und fälschlich suggestiv.
Wie auch immer diese „demokratische Zumutung” (wie Angela Merkel es am 17. November 2020 formulierte) beschaffen sein mag, sie ist noch nicht das Zeichen eines neuen tausendjährigen Reiches.
Eine weitere Erklärungshypothese bestand in der Manipulation der Medien durch die Politik und Finanzmächte. In der Tat gehörten in der historischen Ära vor der Pandemie seriöse wissenschaftliche Analysen der politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen der Medien tatsächlich zum spezialisierten Forschungsbereich der Soziologie und der Kommunikationswissenschaften.
Von Karl Kraus bis Noam Chomsky, von Karl Kraus und Jacques Ellul bis Pierre Bourdieu zählte die kritische Analyse der Presse zu den seriösesten, empirisch fundiertesten und wissenschaftlich unumstrittensten Forschungsgebieten der Soziologie und Kommunikationswissenschaften.
Mit der radikalen Politisierung der Medien werden diese Analysen, von denen viele zu Klassikern geworden und Teil der akademischen Lehrpläne sind, nun als gefährliche „Verschwörungstheorien” umgedeutet. Alles, was über die Rolle und Funktion des Journalismus im Kontext der Kriege, den großen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krisen des 20. Jahrhunderts veröffentlicht und nachgewiesen wurde, erweist sich nun, nach kaum einem Jahr, als nichtig.
Die Kritik an der journalistischen Objektivität, die Kritik am mangelnden Pluralismus der Perspektiven und an der eigennützigen Gestaltung von Nachrichten, die Auswirkungen des Wettlaufs um Aufmerksamkeit und des Drucks der Sensationsmeldung, die Inszenierung und Manipulation aufgrund der finanziellen und politischen Abhängigkeit der Medien, die Nähe zu den politischen Entscheidungsträgern und die Nähe zu den wirtschaftlichen Akteuren scheinen insgesamt Teil einer nebulösen „Verschwörung“ oder sogar einer rechtsextremen Ideologie zu sein, wenn es um die Gesundheitspolitik geht.
Was die Pandemie betrifft, so fungiert der größte Teil der Presse (die gesamte luxemburgische Presse) nur als Vehikel für die unanfechtbaren Wahrheiten, die wissenschaftlichsten und einvernehmlichsten Fakten, die reinsten und gerechtesten Interessen und Moralvorstellungen, die jemals in der Geschichte der Menschheit propagiert wurden. Folgt man dem Selbstverständnis einiger unserer Journalisten, so könnte man meinen, sie stünden auf einer Stufe mit den Verfassern der Evangelien:
Am Anfang war die Presse und dann erschien die Welt.
(Karl Kraus, Lied von der Presse)
Im eigenen Interesse hat sie sich uns gesellt.
Natürlich lässt sich die Homogenisierung der Medien nicht so einfach erklären. Anlässlich des Irak-Krieges hatten wir bereits reichlich Gelegenheit, die seltsamen Ähnlichkeiten mithilfe einer universellen Verschwörung festzustellen, auch wenn die Besitzverhältnisse der großen Medienkonzerne längst erschreckend nahe beieinander liegen.
Auf einer individuelleren, alltäglichen, impliziten Ebene kann eine Antwort in der Soziologie des journalistischen Feldes gefunden werden, wie sie von dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu begründet wurde.
Die „prästabilierte Harmonie” (nach dem Konzept des Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz) von Fernseh-, Radio- und Zeitungsberichten braucht nicht einmal eine universelle Abstimmung, um mit denselben Themen, denselben Perspektiven und denselben moralischen „Werten“ in Einklang zu stehen. Das hat mit der Art und Weise zu tun, wie die Medien funktionieren.
Um eine berühmte Metapher zu gebrauchen, ist es nicht notwendig, dass sich die Uhren verschwören, um praktisch die gleiche Zeit zur gleichen Zeit anzuzeigen, es reicht aus, dass sie auf die gleiche Zeit eingestellt und mit der gleichen Art von Uhrwerk ausgestattet sind, so dass jede von ihnen, indem sie ihrer eigenen Bewegung folgt, mit allen anderen ungefähr übereinstimmt. Die Ähnlichkeit des Mechanismus schließt eine maschinelle Bearbeitung aus.
(Accardo, Alain. «Un journalisme de classes moyennes (II) – L’orchestration invisible des pratiques sociales.» Éditions Agone)
Fortsetzung folgt …
Literatur
- Accrdo, Alain. « Un journalisme de classes moyennes (I) ». Éditions Agone, mai 2020. https://agone.org/blog/un-journalisme-de-classes-moyennes-i.
- ———. « Un journalisme de classes moyennes (II) – L’orchestration invisible des pratiques sociales ». Éditions Agone, mai 2020. https://agone.org/blog/un-journalisme-de-classes-moyennes-ii.
- ———. « Un journalisme de classes moyennes (III) – Le maintien de l’ordre « démocratique » ». Éditions Agone, mai 2020. https://agone.org/blog/un-journalisme-de-classes-moyennes-ii.
- Bourdieu, Pierre. « L’emprise du journalisme ». Actes de la Recherche en Sciences Sociales 101, Nr. 1 (1994): 3–9.
- Halimi, Serge. Les Nouveaux chiens de garde. Paris: Raisons d’agir, 2005.